Ach, die heutige Jugend!
1. Situation
„Ein Vater erzählt, dass seine Tochter seine neue Designerhose auf einem Wäschestapel gefunden habe. Sie nahm eine Schere und schnitt die Hosenbeine ab, weil sie die Hose mit dem neuen Zuschnitt einfach „so cool“ fand. Selbstverständlich ging sie anschliessend in der neu designten Hose auch zur Schule und erntete unter den Mitschülerinnen Komplimente.“ (aus: Nur Flausen im Kopf? – Jugendliche verstehen, Esther Lauper, Michael De Boni, Seite 12).
Ist die Tochter nur einfach schlecht erzogen, ist sie krank oder tickt sie nicht richtig? Wie kann es sein, dass Jugendliche solche Handlungen vollziehen, die für uns Erwachsene nicht nachvollziehbar sind?
2. Pubertät
Es ist tatsächlich so, dass seine Tochter nicht richtig tickt. Sie ist in der Pubertät und das Gehirn ist in einer totalen Umbauphase. Gewisse Verhalten oder auch gewisse Denkmuster treten fast ausschliesslich in der Pubertät auf. Diese Umstrukturierung des Gehirns ist so massiv, dass Jugendliche wirklich oft nicht wissen, was sie tun.
Die Aufgaben des Frontalhirns
Die Entwicklung des Frontalhirns ist am spätesten abgeschlossen. Nun hat aber ausgerechnet dieser Teil der Grosshirnrinde folgende Aufgaben zu erfüllen:
- Handlungsentwürfe vorbereiten und den -ablauf genau planen
- Impulse und Affekte unterdrücken
- Sich situationsgerecht verhalten
- Entscheidungen treffen
- Sinnvolle Auswahl treffen
- Aufmerksamkeit gezielt auf etwas lenken können
- Sich länger auf etwas konzentrieren können
- Mehrere Aufgaben gleichzeitig überblicken können
- Mitgefühl entwickeln
- Verantwortung übernehmen
3. Die Aufgaben des limbischen Systems
Als Gegenspieler des Frontalgehirns können wir das limbische System betrachten. Es hat folgende Aufgaben:
- Speichern von emotionale (schon vorgeburtlichen) Erfahrungen
- Alles nach gut oder schlecht, erfolgreich, lustvoll, schmerzlich etc. bewerten
- Entwicklung des Triebverhaltens
- Ausschütten von Glückshormonen
- Das limbische System hat einen Subito-Effekt und blendet Konsequenzen aus.
Wir wissen, dass das Frontalhirn bis weit über das 20. Lebensjahr reifen muss, das limbische System jedoch voll funktionsfähig ist. Jetzt werden solche Handlungen wie das Zurechtschneiden einer Hose, die gefällt, plötzlich verständlich.
4. Veränderung des pubertären Gehirns
Vor der Pubertät findet nochmals eine deutliche Vermehrung der Synapsen statt. Mit der Pubertät nimmt die Synapsendichte ab. Die weisse Substanz (Myelin) nimmt zu. Diese Myelin legt sich als Schutz um die Nervenfasern und macht sie leistungsfähiger. Das heisst, in der Pubertät beginnt im Frontalhirn eine Neu- und Umverdrahtung mit dem Ziel, die Hirnleistung effizienter zu machen.
Wenn wir nun aber wissen, dass in der Pubertät die frontalen Hirnregionen mit dem massiven Umbau zu kämpfen haben, dann ist es plausibel, dass da Konzentrationsschwierigkeiten, Lernprobleme, Affekthandlungen mit hoher Risikobereitschaft und instabile Gemütslage vorherrschend sein können.
Gut für uns Erwachsene zu wissen, dass sich die Zurechnungsfähigkeit unserer Jugendlichen mit fortschreitender Pubertät stetig entwickelt. Wir können uns also getrost zurücklehnen.