Helfen Ämtli den Kindern Verantwortung zu übernehmen?
Viele Eltern, die zu mir in die Beratung kommen, erzählen mir, dass sie ihren Kindern Ämtli zugeteilt hätten. Dass sie jedoch jeden Tag deswegen mit ihren Kindern Streit hätten. Einige dieser Eltern erwarteten, dass ihre Kinder die Ämtli unaufgefordert verrichten würden. Andere wiederum waren bereit, ihren Kindern immer wieder zu sagen, dass sie noch ihre Ämtli erledigen sollten, ärgerten sich jedoch trotzdem oft, dass sie das tun mussten.
Auch wir begannen sehr früh damit, unseren Kindern Ämtli zu übergeben. So mussten sie beispielsweise am Abend immer den Hühnerstall schliessen und beim Abwasch helfen. Die Kinder taten das nicht freiwillig. Da wir Eltern jedoch darauf bestanden, klappte es meistens doch ohne zu grosse Widerstände. Das war vielleicht deshalb so, weil die Kinder die Ämtli auch immer wechseln konnten, wenn sie gar keine Lust mehr auf das ihnen zugeteilte hatten.
Warum übergeben Eltern ihren Kindern Ämtli
Die meisten Eltern sind ebenfalls mit Ämtli gross geworden und haben die Idee verinnerlicht, dass Ämtli dazu führen, dass Kinder Verantwortung übernehmen. Oft reflektiert man solche Ideen nicht. Selten geht es darum, dass die Eltern die Arbeit der Kinder wirklich brauchen. Meistens ist es ja so, dass die Arbeit viel schneller getan wäre, wenn wir sie selber machen würden.
Im Verlauf der Jahre sind wir zur Einsicht gelangt, dass Ämtli nicht dazu führen, dass Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen, sondern, dass es ein pädagogisches Konzept ist; also ein Erziehungsinstrument.
Notwendigkeit der Ämtli
Früher war es in vielen Familien so, dass es ohne die Mithilfe der Kinder nicht gegangen wäre. Unser alter Nachbar, der Bauer, erzählte uns oft davon, dass er vor und nach der Schule die Rinder hüten musste. Auch in der Stadt hatten die Kinder Aufträge zu erfüllen. Gerade während der Kriegszeit war es die Aufgabe der Kinder, die Pferdeäpfel aufzusammeln, die getrocknet als Heizmaterial zu gebrauchen war. Meine Mutter musste als noch schulpflichtige Jugendliche putzen gehen, damit die Familie finanziell über die Runden kam. Alle mussten mithelfen. Jedes Kind konnte erkennen, dass es ohne seine Hilfe einfach nicht ging. Deshalb wurden diese Arbeiten ohne grossen Widerstände einfach ausgeführt. Es brauchte die Kinder und so erfuhren sie es auch.
Wenn wir nun Ämtli als Erziehungskonzept einführen, spüren die Kinder, dass nicht ihre Mithilfe gefragt ist, sondern dass eine pädagogische Absicht dahinter steckt. Wenn sie darauf mit Widerstand reagieren, ist das vollkommen legitim und normal.
Sollen wir also den Kindern keine Ämtli zumuten?
Aus erzieherischen Gründen sind Ämtli nicht notwendig. Wenn wir es trotzdem wollen, ist es sinnvoll, wenn wir transparent offenlegen, warum wir das wollen. Wir können den Kindern sagen, dass wir auch so erzogen worden sind und wir uns dadurch bei der Erziehung sicherer fühlen. Wenn wir Arbeiten abgeben, die wir selber nicht besonders mögen, dann sollten wir das auch so kommunizieren. Auch gäbe es Sinn, den Kindern die Wahl des Ämtlis zu überlassen. Und sie sollten es immer wieder wechseln können.
Wenn wir aber wirklich einmal Hilfe von unseren Kindern brauchen, dann sollten wir das rechtzeitig ankündigen: „Morgen kommt Besuch und ich brauche dich ganz dringend beim Vorbereiten der Nachspeise, da ich sonst zu wenig Zeit für die Hauptspeise habe“.
Doch solche verpflichtenden Forderungen sollten nur an Teenager und nicht an jüngere Kinder gestellt werden, da diese das Empfinden der Zukunft noch nicht haben und dann Versprechungen machen, die sie nicht einhalten können.
Fazit
Ich bin davon überzeugt, dass es nicht von den Ämtli abhängt, ob ein Kind ein verantwortungsbewusster und hilfsbereiter Erwachsener wird. Viel wichtiger ist, was die Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen vorleben.
*Ämtli (von: Amt) sind kleinere Arbeiten, wie Abtrocknen, das Meerschweinchen füttern, das Katzenklo putzen etc, welche man verpflichtend auf die Kinder überträgt und erwartet, dass sie diese über eine längere Zeit regelmässig verrichten.