„Vom Gehorsam zur Verantwortung“ von Jesper Juul und Helle Jensen (Beltz-Verlag)
Einführung
Mir ist kürzlich Jesper Juuls und Helle Jensens Buch «Vom Gehorsam zur Verantwortung» in die Hände gefallen, das bereits 2002 erschienen ist. Schon von der ersten Seite an hat es mich gepackt, obwohl mir ihre Ideen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen nicht fremd gewesen sind. Wie sehr wünsche ich mir, dass solche Bücher an der Pädagogischen Hochschule, für Sozialpädagogen und für Fachfrauen Betreuung Kind (diejenigen, die in den KITAS arbeiten) Pflichtlektüre wären.
Es ist unmöglich, dieses inhaltlich so reiche Buch in einem Blog zusammenzufassen. Doch möchte ich zum Nachdenken einige Inhalte vermitteln:
Integrität
Die Autoren beschreiben, dass es darum geht, die persönliche Integrität der Kinder (bzw. aller Menschen) zu wahren. Das bedeutet aber, dass das Kind nicht zum Objekt unserer Erziehung gemacht wird, sondern immer Subjekt bleibt. Immer wenn wir unser Wertsystem dem Kind überstülpen, verletzen wir seine Integrität. Es geht darum, das Kind in seinen Äusserungen wahrzunehmen und zu sehen. Das Kind muss als Rückmeldung von uns dieses Gesehenwordensein erkennen und empfinden können.
Deshalb müssen Erwachsene in der Erwachsenen-Kindbeziehung immer die volle Verantwortung für die Qualität der Beziehung übernehmen. Es darf nicht so laufen, dass sich der Erwachsene auf die Schultern klopft, wenn die Beziehung zum Kind gut ist; wenn sie jedoch nicht gut ist, dann ist es die Schuld des Kindes. Wenn wir als Erwachsene diese Verantwortung nicht wahrnehmen, dann landet sie beim Kind als Schuld und Scham.
Kinder sind nicht in der Lage, die Verantwortung für die Qualität ihrer Beziehung zu Erwachsenen zu tragen. Sie können ihre Meinungen einbringen, aber die Verantwortung liegt immer beim Erwachsenen. (Seite 150)
Juul und Jensen beschreiben, dass sich Kinder oft in einem grundlegenden, existentiellen Konflikt; befinden, nämlich zwischen der Wahrung seiner eigenen Integrität und der Anpassung an die Bedürfnisse und Wünsche der Mutter (Seite 81).
Schule
Viele Generationen lang haben die Erwachsenen die Verantwortung für die Qualität ihrer Beziehung zu den Kindern dann von sich gewiesen, wenn die Beziehungen von Konflikten geprägt war. Das ist in den pädagogischen Institutionen ständig der Fall. Kinder (und ihre Eltern) werden im Grossen und Ganzen in allen offiziellen Verlautbarungen als die Ursache für die qualitative unbefriedigenden professionellen Beziehungen genannt. (Seite 151)
In der Schule ist die wertende Kommunikation dominant. Denn in der Schule ist die Inhaltsdimension in Form von Lehrplänen und Fächern dominant, und die Arbeit der Schüler wurde ausgehend von ziemlich präziser fachlicher Kritik in Form von lobendem Feedback und formaler Noten, als richtig oder falsch bewertet. In der Welt der Schule hat dieses Phänomen mitsamt der Abwesenheit von prozessualem Denken zu einem primitiven oder reduktiven Menschenbild geführt, bei dem die Kinder (und weitgehend auch die Erwachsenen) auf ihr fachliches und soziales Verhalten reduziert werden. Damit hat man eine Kultur geschaffen, in der Menschen entweder richtig oder falsch sind. Generationenlang wurde dieses Urteil fast ausschliesslich auf moralischer Grundlage getroffen; diese wurde in unserer Zeit durch psychologische oder psychiatrische Diagnosen sublimiert oder ganz ersetzt (Seite 331).
Ich konnte dem Buch in keiner Art und Weise gerecht werden, hoffe aber, dass die wenigen Ausschnitte den einen oder die andere Leserin meines Blogs dazu verführen wird, das Buch von Jesper Juul und Helle Jensen zu lesen.
Eine Antwort
Du hast mich verführt, habe das Buch soeben bestellt und freue mich sehr darauf. Diesen Sommer habe ich einen Jesper Juul-Bücher-Marathon hingelegt, habe eines nach dem anderen verschlungen, doch dieses eine hat just noch gefehlt. Merci für den Tipp, liebe Monika. ?