„Unser Kind ist speziell und deshalb klappt es nicht mit der Schule.“
Wie oft habe ich diesen Satz schon von Eltern während meiner Beratungen gehört.
Jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, halte ich kurz den Atem an und überlege mir, was ich nun diesen Eltern sage. Denn sein Kind zu begleiten mit dem Fokus auf dem Speziellen, finde ich nicht gesund.
Und ich frage mich grundsätzlich:
- Warum erhält das Kind das Merkmal „speziell“, wenn es in der Schule nicht klappt?
- Was bedeutet eigentlich „ein spezielles Kind“?
- Was sind das für Kinder, welche von ihren Eltern als speziell bezeichnet werden?
Oft sind es Kinder, welche die Lehrerinnen zur Abklärung vorschlagen; meistens besteht ein Verdacht auf ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) oder ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom). Immer öfters schwingt die Verdachtsdiagnose „Asperger“ mit. Wenn ich nachfrage und die Eltern auffordere, mir ihr Kind zu beschreiben, dann erhalte ich oft folgende Beschreibung:
Was ist ein spezielles Kind?
Das Kind ist sehr aufgeweckt, stellt viele Fragen, beschäftigt sich mit besonderer Vorliebe mit Lexika oder anderen Sachbüchern und will den Dingen sehr intensiv auf den Grund gehen. Das Kind wird eher als unruhig beschrieben. Diese Unruhe kommt ganz besonders in der Schule zum Vorschein. Zuhause besteht diesbezüglich meistens kein Problem. Die betroffenen Kinder haben oft keine grosse Lust mit Gleichaltrigen zu spielen und sind nicht erpicht auf Gruppenspiele. In der Pause ziehen sie sich meistens zurück oder sind sehr extrovertiert und geraten schnell in einen Konflikt. Bei den meisten dieser Kinder treten mit dem Kindergarten- oder Schuleintritt körperliche Probleme wie Bauchschmerzen oder Kopfweh auf oder auch Probleme wie Ein- bzw. Durchschlafstörungen. Die Kinder verweigern oft die Schule, oder es ist für die Eltern jeden Tag ein Kampf, das Kind rechtzeitig zur Schule zu schicken. In vielen Fällen werden die Kinder als sehr kreativ beschrieben, besonders, wenn sie alleine sind. In einer Gruppe mit anderen Kindern wirken sie oft störend oder sehr ängstlich. Die Kreativität wird in solchen Situationen nicht gelebt oder von den betreuenden Erwachsenen nicht erkannt. Oft neigen die Kinder zu Aggression, wenn sie zu lange mit Gleichaltrigen zusammen sind.
Diese Kinder gelten also als speziell, obwohl ich persönlich eine solche Beschreibung als völlig normal empfinde.
Die nicht speziellen Kinder
Alle anderen Kinder, die in der Schule nicht auffallen, sind also nicht speziell. Was sind sie dann? Normal, langweilig, angepasst, unoriginell…?
Mich stören solche Kategorisierungen von Menschen und ganz besonders von Kindern. Jeder Mensch, jedes Kind ist einmalig und daher speziell. Natürlich gelingt es einigen Kindern besser, sich an die Begebenheiten der Schule anzupassen. Kinder sind grosse Künstler der Anpassung und Kooperation. Nun gibt es jedoch auch solche, die sich nicht anpassen. In wie weit auch diese kooperieren, soll hier nicht weiter beleuchtet werden.
Die Bandbreite der Norm
Als ich vor einigen Jahrzehnten selber zur Grundschule ging, besuchten die meisten Kinder die Regelklasse und galten als normal. Dann gab es noch einige wenige mit so genannten Defiziten, welche in die Hilfsschule gingen. Viele von diesen Hilfsschulkindern hatten eine Intelligenz, der die Schule keinen Wert beimass aber nur ganz wenige hatten ein wirkliches Defizit.
Die Bandbreite der Norm war also sehr weit. Da hatten ganz unterschiedliche Charakteren, Verhaltensweisen und Intelligenzen Platz. Speziell wurden die oben genannten Kinder wohl nicht genannt. Sie waren unbequem, lästig, laut oder vorlaut, Träumer oder etwas zurückgeblieben. Aber alle galten als normal.
Hüten wir uns also davor, unseren Kindern Attribute zuzuschreiben, welche sie dann ein Leben lang nicht mehr loswerden.